Wie die Vermessungstechnik entstand
(unbekannter Autor, überarbeitet durch Marco K.)

Am Anfang schuf Gott Adam und Eva. Und der Adam war wüst und leer, und es war finster im Kasten seines Gehirnes, und der Geist der Dunkelheit schwebte über seinem Haupt. Und es wollte nicht Licht werden. Denn das Chaos in seinem Gehirn war verworren und Gut Ding will Weile haben. Und der Herr sprach: "Es werde eine Feste in der Wirre der Begriffe, und ihr Name sei Mathematik!"

Da ward aus Plus und Minus der erste Tag.

Und die Erde ließ aufgehen gerade Linien und krumme Linien und Kreise und Ellipsen und Kurven höherer Ordnung mit und ohne singulären Punkten.

Da ward aus Gerade und Krumm der zweite Tag.

Und es keimten und sprossen überall hervor Buchstaben mit und ohne Index, Koeffizienten, und runden, eckigen oder geschweiften Klammern. Und der Herr segnete sie und sprach: "Seid fruchtbar und mehret euch!"

Da ward aus Gleich und Ungleich der dritte Tag.

Und der Herr sprach: "Es bringe die Erde hervor Formeln und Lehrsätze in einer solchen Menge, daß ihre Zahl gegen Unendlich gehe." Und die Sätze von Pythagoras und Thales, Bolzano und Weierstraß, Taylor und Euler gingen auf und füllten die Lehrbücher. Und der Herr sprach : "Ich mache euch dem Adam untertan, auf daß er seine Kurzweil mit euch habe!"

Da ward aus tausendundeinem Beweis der vierte Tag.

Und es wuchsen hervor die Koordinatensysteme polarer und orthogonaler Unordnung, und daraus schlängelten sich hervor die Logarithmen und die trigonometrischen Funktionen. Und die Integrale marschierten auf in langen Reihen transzendenter Beschaulichkeit.

Da ward aus Sinus und Kosinus der fünfte Tag.

Am fünften Tag aber erhob sich ein gewaltiges Beben von einer solchen Stärke, daß sich die wohlgeformte Erde verbog; zuerst zu einer Kugel, dann zu einem Ellipsoid und schließlich zu einer undefinierbaren Fläche, die man Geoid nannte, und die Verwirrung kannte keine Grenzen.

Da ward aus Oben und Unten der sechste Tag.

Und der Herr sprach: "Lasset uns Ordnung schaffen, auf daß die Erde vermessen werde!" Und die Täler füllten sich mit Wasser, genau bis Normal-Null, Höhenbolzen schossen wie Pilze empor und die Dreiecksnetze erster bis vierter Ordnung überspannen die Berge und Ebenen. Und der Herr sprach zu Adam: "Du sollst vermessen die ganze Erde! Und siehe, ich gebe in Deine Hände das ganze mathematische Paradies. Du darfst multiplizieren und dividieren, potenzieren und radizieren mit all den Zahlen die darin sind. Aber durch die Zahl Null darfst Du nicht dividieren, denn sie ist ein Geschöpf des Fürsten der Finsternis."

Aber die Schlange war listiger als alle Tiere und sprach zu Eva: "Null ist mitnichten das Geschöpf des Fürsten der Finsternis, sondern wer durch sie dividiert, wird unterscheiden lernen, was recht und falsch ist." Und das Weib erkannte, daß durch Null gut zu dividieren wäre und daß es eine lustige Zahl sei, weil sie klug mache, und sie sagte zu ihrem Manne: "Dividiere doch, siehst du nicht, daß die Gleichungen viel einfacher werden?" Und Adam fasste sich ein Herz und dividierte durch Null. Er schämte sich jedoch seiner verbotenen Tat und verbarg sich hinter einem trigonometrischen Punkt erster Ordnung. Der Herr aber zürnte ihm und sprach: "Adam, Du hast mein Gebot übertreten. Darum eliminiere ich Dich aus dem mathematischen Paradies. Verflucht sei Deine Arbeit! Dein Leben lang sollst Du die Erde vermessen, von der Arktis bis zur Antarktis, vom Atlantik über Düsseldorf, Berlin und Eisenhüttenstadt bis zum Pazifik und auch den neuen Erdteil, den Columbus entdecken wird. Und alle Deine Messungen sollen mit Fehlern behaftet sein. Im Schweiße Deines Angesichtes sollst Du nachmessen, nachmessen und nachmessen. Deine zahlreichen Fehler werden sich nach Gauß fortpflanzen und Deine Hände werden sich beim Interpolieren am Rechenstab wundscheuern. Aber nie, niemals wird es Dir gelingen, die Erdoberfläche zugleich längentreu, flächentreu und winkeltreu abzubilden. Das Rasseln der Doppelrechenmaschine soll Dich verfolgen alle Tage Deines Lebens. Mühselig sollst Du mit rostigen Meßbändern durch die Fluren ziehen. Grenzsteine werden sich verstecken und auf heißen, unbeschatteten Grundstücken wirst Du grenzenlos durstig sein."

Und so geschah es.